Energie intelligent managen

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Christoph Weber

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Die präzise Diagnose von Batteriesystemen ist entscheidend für ein effizientes Energiemanagement, sagt Professor Christoph Weber von der Fachhochschule Kiel. In Kooperation mit VINCORION entwickelt er gemeinsam mit seinem Forschungsteam innovative Analyseverfahren, um den Ladezustand und die Lebensdauer von Batteriesystemen mithilfe Künstlicher Intelligenz so genau wie möglich zu ermitteln. Gefördert wird das Projekt von der Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein.

Herr Professor Weber, warum sind Batteriemanagementsysteme so wichtig?

Die meisten Menschen denken bei Batterien an Energiespeicher, die sie aus dem Alltag kennen. Eine Autobatterie zum Beispiel. Bei der merkt man irgendwann, dass sie kaputt ist, wenn sich der Motor nicht mehr starten lässt. Das ist ärgerlich, aber das Leben hängt nicht davon ab. Es gibt aber spezielle Anwendungsbereiche, in denen die Bereitschaftsfähigkeit einer Batterie eine äußerst wichtige Rolle spielt.

Was sind das für Anwendungsbereiche?

In unserer Kooperation mit VINCORION geht es etwa um Spezial- und Sonderfahrzeuge, bei denen ein Ausfall des Batteriesystems sehr ernste Folgen haben kann. Generell lässt sich unsere Forschung auf alle Anwendungen übertragen, in denen wir es mit Batteriesystemen zu tun haben, die sehr komplex sind oder eine außerordentlich hohe Bereitschaftsfähigkeit garantieren müssen. Ein solcher Bereich ist beispielsweise das intelligente Management unseres Stromnetzes in Deutschland – gerade auch mit Blick auf die Energiewende und den ressourcenschonenden Umgang mit Energie.

Können Sie das erläutern?

Ein wichtiges Schlagwort ist die sogenannte Primärregelleistung. Für uns ist es heute selbstverständlich, dass der Strom mit 50 Hertz und 230 Volt aus der Steckdose kommt. Die Netzfrequenz hängt aber davon ab, dass sich Bedarf und Produktion von Strom im Gleichgewicht befinden: Gibt es einen Überschuss an Leistung im Netz und nur wenige Abnehmer, dann steigt die Frequenz. Gibt es weniger Leistung bei mehr Abnehmern, dann sinkt sie. Um die Balance zu halten, passen die Kraftwerke im Hintergrund ihre Produktion permanent an die fluktuierenden Bedarfe an. Dies ließe sich mithilfe moderner Speichertechnologie deutlich effizienter gestalten. Das gilt besonders, wenn man an regenerative Energien denkt, deren Produktion von externen Faktoren abhängt und naturgemäß stärker schwankt. Eine wichtige Voraussetzung für diese Steuerung ist ein intelligentes und zuverlässiges Batteriemanagementsystem.

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Gibt es solche Managementsysteme nicht schon?

Die gibt es tatsächlich, sie sind in der Regel aber nicht besonders genau. Die meisten Hersteller garantieren einfach eine gewisse Anzahl Auf- und Entladungen und zählen deshalb lediglich die Ladezyklen der Batterie – so zum Beispiel auch in der Elektromobilität. Diese Garantie basiert allerdings nur auf einem Wert, der unter Laborbedingungen mit genau definierten Parametern ermittelt wird. Fahren wir aber ein Auto beispielsweise bei sehr kalten Temperaturen oder sehr sportlich, dann altert die Batterie viel schneller.

Worin unterscheidet sich Ihr Ansatz von konventionellen Systemen?

Uns stehen letztlich die gleichen Daten zur Verfügung wie allen anderen auch. Wir haben uns deshalb das Ziel gesetzt, die Daten schlauer auszuwerten als andere Entwickler. Dazu testen wir verschiedenste Verfahren und Messtechniken an unterschiedlichen Batterietechnologien – von Bleibatterien bis hin zur Lithium-Ionen-Technologie. Für die Auswertung der Daten wenden wir anschließend Methoden der Künstlichen Intelligenz an, insbesondere aus dem Bereich des Machine Learning.

Wie kann man sich das vorstellen?

Für unsere Messungen bringen wir in die Batterien einen Strom ein, der nicht nur eine, sondern mehrere Frequenzen hat. Das kann man sich vorstellen wie eine Gitarre, an der man zupft. Man regt das Instrument an und horcht dann auf die Antwort, also den Ton. In unserem Fall ist das die Spannungsantwort: der Wechselstromwiderstand einer jeden Batteriezelle. Dabei handelt es sich um ein sehr spezifisches Merkmal, das den jeweiligen Zustand einer Zelle genau charakterisiert.

Aber was hat das mit Künstlicher Intelligenz zu tun?

Für Menschen ist es nahezu unmöglich, eine Korrelation zwischen dem Wechselstromwiderstand, dem Ladezustand und der verbliebenen Lebensdauererwartung zu erkennen. Für Hochleistungsrechner, die sehr große Datenmengen auswerten können, sieht das anders aus. Sie erkennen Muster sehr viel besser als wir. Wir greifen dazu in der Programmierung auf sogenannte künstliche neuronale Netze zurück, mit deren Hilfe sich in großen Datensammlungen Zusammenhänge zwischen einzelnen Werten identifizieren lassen. Wir trainieren die Algorithmen mit den von uns gemessenen Anregungssignalen, der Frequenzmessung aus der Zelle und der Zielgröße, also dem Lade- und Gesundheitszustand, und erforschen auf diese Weise die Zusammenhänge zwischen den Parametern.

Sie sprechen von einem „Training“. Wie ist das zu verstehen?

Wir versetzen die Batterien während unserer Messungen in realistische Zustände, das heißt, wir kühlen sie, wir heizen sie auf, laden große Ströme, kleine Ströme – und dabei beobachten wir das System durch das Immer-wieder-reinrufen-und-zuhören-Prinzip. Dadurch generieren wir tausende von Merkmalsdatensätzen, die wir in Beziehung zum aktuellen Zustand der Batterie setzen. Das ist es letztlich auch, was bei solchen maschinellen Lernprozessen „erlernt“ wird: Der Algorithmus erhält von uns die Messdaten und Informationen zum Zustand der Batterie. Daraus entwickelt er selbstständig ein Regelsystem, um nach und nach aus Messdaten Aussagen zum Zustand der Batterie ableiten zu können. Auf diese Weise erhalten wir Modelle, die wir für zukünftige Prognosen nutzen können.

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Konnten Sie damit bereits bessere Ergebnisse erzielen als mit konventionellen Batteriemanagementsystemen?

Alles, was wir bislang getestet haben, zeigt uns, dass es sehr gut funktioniert. Und es gibt bereits Ansatzpunkte, um noch einen Schritt weiterzugehen. Wir haben zuletzt beispielsweise damit begonnen, an sogenannten selbstlernenden Verfahren zu arbeiten. Das Batteriemanagementsystem misst dabei selbstständig alle relevanten Daten und versucht die Zielgröße durch einen selbstlernenden Algorithmus zu erfahren. Der Algorithmus ist dabei so programmiert, dass er erkennen kann, ob die Selbsteinschätzung des Systems gut war oder nicht. Dazu nutzt er eine sogenannte Reward-Funktion. Je häufiger dieser Vorgang wiederholt wird, desto stärker konvergiert der Algorithmus in die richtige Zielrichtung. Das System lernt sich sozusagen „on-the-fly“ selbst kennen und bewerten.

Das alles klingt eher nach Silicon Valley als nach Schleswig-Holstein …

Es ist in jedem Fall sehr spannend für uns und bietet uns die Möglichkeit, ingenieurwissenschaftliche Disziplinen wie Messtechnik und klassische Hardwareentwicklung mit den Methoden der Künstlichen Intelligenz zu verknüpfen, die man ja tatsächlich eher bei Google und Co. vermutet. Wir profitieren hierbei natürlich auch davon, dass wir Algorithmen aus anderen Anwendungsbereichen für unsere Aufgabenstellung adaptieren können. Insgesamt können wir unseren Studenten damit zukunftsorientierte Projekte und unseren Partnern in der Industrie echte Mehrwerte bieten.
Für den Industrie- und Wissenschaftsstandort Schleswig-Holstein kann das nur gut sein.

Wie schätzen Sie die Perspektive für die Region ein?

Schleswig-Holstein ist schon heute zusammen mit Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern eines der wichtigsten Zentren der Energiewende in Deutschland. Das ist schon allein geografisch bedingt: Wir befinden uns mit Blick auf Europa in sehr zentraler Position und bilden damit einen wichtigen Angelpunkt. Im Norden entsteht mit NordLink eine Verbindung der Stromnetze von Norwegen und Deutschland, die den Austausch von Energie ermöglichen wird. In die andere Himmelsrichtung haben wir die Trasse nach Süddeutschland. Hinzu kommt, dass wir hier in Schleswig-Holstein in Zukunft sehr viele regenerative Energien erzeugen werden. Ich bin mir sicher, dass das den Standort perspektivisch stärken wird, da sich Unternehmen vor allem dort ansiedeln, wo die Energie produziert wird.

Wenn Wirtschaft und Forschung Hand in Hand gehen, eröffnet das zusätzliche Potentiale. Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit und der gegenseitige Austausch mit der Industrie?

Es gibt da ja zwei Perspektiven. Forschungskooperationen wie unser gemeinsames Projekt mit VINCORION bieten der Industrie auf der einen Seite vergleichsweise risikoarme Pfade, um risikoreiche Ideen zu verfolgen. Es ist zu Beginn eines Forschungsvorhabens oft nicht absehbar, wie sich diese in konkrete Produkte und Dienstleistungen ummünzen lassen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich Hochschulen mit diesen Themen beschäftigen. Über diesen Aspekt hinaus bietet der Hochschulkontext in der Regel einen unvoreingenommenen Blick. Auch das kann für Unternehmen sehr wertvoll sein.

Und für Sie als Hochschule?

Für den Forschungsbereich sind diese Kooperationen natürlich genauso attraktiv. Der starke Praxisbezug ist eine Riesenmotivation für unsere Studierenden, auch komplizierte Themen zu bearbeiten. Und wenn Projektmitarbeiter nach ihrem Abschluss bleiben, um weiter zu forschen, dann muss das auch finanziert werden. Hier liegen tatsächlich die Hauptkosten bei so einem Projekt. Wir können ja nicht ausschließlich mit Studierenden in Teilzeit daran arbeiten. Über die Personalkosten hinaus profitieren wir natürlich auch stark von den Investitionen durch Unternehmen. Mit VINCORION konnten wir zum Beispiel zuletzt eine neue Klimakammer anschaffen und unsere bisherige aus den 1990er Jahren ersetzen. Das hilft uns sehr bei der Arbeit und führt im Ergebnis zu einer echten Win-in-Situation. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir im Rahmen unserer Projekte auch weiterhin gemeinsam mit unseren Partnern zukunftsweisende Technologien und starke Produkte entwickeln werden.

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