„Auf dieses Ereignis war niemand wirklich vorbereitet.“

Warum es eine Zeitenwende auch im Zivil- und Katastrophenschutz braucht

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Ganze Dörfer unter Wasser, Menschen ohne Trinkwasserversorgung und ohne Strom, zerstörte Existenzen: Uns allen sind die Bilder der Flutkatastrophe im Ahrtal noch in Erinnerung. Es war bei weitem nicht die erste Katastrophe dieser Art. Und doch hat sie besonders unterstrichen, wie wichtig die reibungslose Arbeit und beste Ausstattung des Katastrophenschutzes ist. Aber auch Corona oder die Flüchtlingsbewegungen 2015 und aktuell bedingt durch den Krieg in der Ukraine unterstreichen den Stellenwert des Bevölkerungsschutzes. Was sich die Einsatzkräfte wünschen und was sie dringend benötigen, hat uns THW-Ehrenamtler und VINCORION-Mitarbeiter David Templin erklärt.

Deutschland diskutiert über die Sicherheits- und Verteidigungsinfrastruktur im eigenen Land. Eine richtige, wichtige Diskussion. Aber sie zeigt nur eine Seite. Denn die Mängelliste ist auch im Zivil- und Katastrophenschutz lang. Mit Ende des Kalten Krieges wurden die Investitionen stark heruntergefahren, die Ausstattung auf das Nötigste reduziert und seit Ende der Wehrpflicht auch das Personal abgebaut. Dass es die „Zeitenwende“ – ein sofortiges Umdenken mitsamt nachhaltiger Stärkung – nun nicht nur in der Verteidigung sondern gerade auch im Bevölkerungsschutz braucht, darauf hatte kürzlich DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt gedrängt. Und David Templin kann das nur unterschreiben.

Ohne Strom und Trinkwasser

Wann immer es die Zeit zulässt (oder eigentlich auch nicht), ist der Produktmanager beim THW aktiv, hilft ehrenamtlich bei der Ausbildung des Nachwuchses und vor Ort in Katastrophenfällen. Bei Großbränden, Unwetterschäden und Evakuierungen war er bereits im Einsatz. An seinen ersten größeren Einsatz beim Hochwasser 2008 in Bayern erinnert sich David Templin noch genau. Auch da waren bereits viele Bausteine der THW-Ausbildung gefragt. „Aber das Ausmaß der Zerstörung und die Größe des Krisengebietes im Ahrtal 2021 war so immens – auf dieses Ereignis war niemand wirklich vorbereitet“, erzählt er. Durch zerstörte Brücken, Kanäle und auch Stromtrassen waren ganze Dörfer, Stadtteile und Straßenzüge ohne jegliche Infrastruktur. „Es gab keine Beleuchtung, keine Trinkwasserzufuhr, keine Möglichkeiten zum Abpumpen von Abwasser.“

Knappe Ressourcen, enormer Bedarf

Als David Templin eine Woche nach der Katastrophe an den Einsatzort kommt, übernimmt er die Koordination der Logistikaufgaben. „Um die Stromversorgung wiederherzustellen, mussten sämtliche Leitungen, Verteiler und Hausanschlüsse gereinigt, instandgesetzt und geprüft werden. Das bedeutet, dass teilweise Tage, Wochen oder Monate einzelne Häuser keinen Strom haben“, erklärt er. Übergangsweise stellen die Einsatzkräfte an zentralen Stellen Stromerzeuger mit Lichtmasten auf. Für größere Abnehmer, z.B. Kläranlagen, wurden teilweise über Wochen temporäre Stromerzeugeranlagen aufgestellt, in Betrieb genommen und betreut. In den ersten drei Wochen waren mehr als 4.000 Einsatzkräfte über 70.000 Stunden im Einsatz. Mit 5.000 Meter Stromkabel und über 300.000 Liter Dieselkraftstoff wurde die Notversorgung gewährleistet. Und weil das wahnsinnig schnell gehen muss, stoßen die Strukturen des Bevölkerungsschutzes an ihre Grenzen.

Auf große Katastrophen nicht vorbereitetSSKH-Pictures / Shutterstock

Auf große Katastrophen nicht vorbereitet

„Die ehrenamtlichen Einsatzkräfte sind gut trainiert und der Baukasten, die die unterschiedlichen Einsatzszenarien abdeckt, ist schon gut gefüllt. Allerdings nur für kleinere Einsätze und nicht für große Katastrophen. Gerade bei Schutzausrüstung oder Infrastruktur wie Digitalfunk und Notstromversorgung gibt es noch viel Luft nach oben“, beschreibt David Templin. Was er sich dabei wünscht, ist mehr Pragmatismus und weniger Bürokratie: „Sowohl bei der generellen Ausstattung als auch im akuten Einsatzfall sind die Beschaffungswege einfach zu lang und zu kompliziert. Ein Beispiel: Um einsturzgefährdete Gebäude oder Infrastruktur zu sichern, benötigt man Rüstholz. Und das im Einsatz auch kurzfristig. In der Theorie müsste ich mir drei Angebote einholen, statt direkt vor Ort den nächsten Anbieter anzusteuern. Das kostet aber natürlich unnötig Zeit und ist nicht praktikabel.“ Gleiches gilt für teilweise veraltete Technik oder gesuchte Goldrandlösungen, etwa bei der mobilen Stromversorgung. „Wenn es schon eine moderne, funktionsfähige Lösung am Markt gibt, sollte man darauf auch direkt zurückgreifen können“, sagt David Templin. Wenn sowohl infrastrukturell als auch materielle und personell alle Voraussetzungen gegeben sind, könne sich auch die Bundeswehr wieder stärker auf ihre Kernaufgabe konzentrieren – die nationale Verteidigung. „Es ist zwar gut, dass die Kameradinnen und Kameraden mit anpacken, aber dass sie es müssen, zeigt die Lücke im Katastrophenschutz deutlich auf.“

Unterstützung ist das A und O

Wie gut die vielen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Einsatzkräfte beim THW durch ihre Ausbildung sind, zeigt ihr Umgang in Krisensituationen auch ohne die perfekte Ausstattung. Da sind manchmal Kreativität und Weitsicht gefragt. Durch seine Tätigkeit als Produktmanager David Templin einen guten Marktüberblick und kennt sowohl die Bedürfnisse des Anwenders als auch die technischen Möglichkeiten, etwa bei der Stromversorgung. „Das hilft mir auf beiden Seiten natürlich enorm. So ist mein Hobby zum Beruf und umgekehrt geworden.“ Und doch bleibt bei dieser Doppelbelastung natürlich kaum Zeit für andere Dinge. „Deshalb bin ich froh, dass mein Arbeitgeber mich in meinem Ehrenamt so unterstützt und dahintersteht, wenn der Funkmeldeempfänger klingelt und ich kurzfristig zum Einsatz gerufen werde oder auch länger ausfalle, wie während der Flutkatastrophe“, sagt David Templin. „Und ohne die Unterstützung meiner Frau wäre dieser Einsatz auch unvorstellbar.“ Und wenn es die Zeit zulässt, hat er noch ein weiteres Hobby: die Arbeit an seinem Familienhaus.

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